Warum bin ich eigentlich … ?

 

Was meine Vergangenheit mit meiner Zukunft zu tun hat

 

Erinnerst du dich noch, warum du dich damals für den Beruf entschieden hast, den du heute ausübst? Vielleicht sagst du jetzt, was soll ich zurückschauen, ich will in die Zukunft denken. Aber gerade, wenn Du in die berufliche Neuorientierung startest, ist es hilfreich, dich zunächst zu fragen, warum du einmal diese Berufswahl für dich getroffen hast? Wenn du dir das noch einmal bewusst machst, ist es einfacher nachzuvollziehen, was davon heute noch für dich passt und welche deiner damaligen Gründe völlig überholt sind.

 

Für die Antwort auf diese Frage, lohnt es sich, einen Blick auf deine Herkunftsfamilie zu werfen und mit dem Modell des Genogramms zu arbeiten. Gerade wenn du nicht am Berufsanfang stehst, sondern schon über mehrere Jahre beruflicher Erfahrung verfügst und das Gefühl hast, dass sich in deinem Leben vieles rein zufällig entwickelt hat, kann solch ein Genogramm dich erkennen lassen, warum du nach der Schule gerade diese Wahl getroffen hast und trotz späterer Unzufriedenheit diesen Weg tapfer weiter beschritten hast. Es soll dir helfen, dein damaliges Entscheidungsverhalten zu reflektieren, dich aus alten Verstrickungen zu lösen und neue Möglichkeiten zu erkennen.

 

Dazu gibt es ein schönes Zitat von Michael Crichton, dem amerikanischen Schriftsteller:

„Wenn du die Geschichte nicht kennst, dann weißt du nichts. Du bist ein Blatt, das nicht weiß, dass es Teil eines Baumes ist.“

 

Sich bewusst zu machen, dass wir Teil eines Systems sind, welches einen starken Einfluss auf uns und unser Leben hat, kann vielleicht auch dir Aufschluss darüber geben, ob deine damalige Berufswahl sich eher am Wertesystem deiner Familie als an deinem orientiert hat, ob du den Erwartungen anderer gerecht werden wolltest, weil du dich aus Loyalität deiner Familie verpflichtet fühltest oder ob du deine Familie einfach nur stolz machen wolltest. Mit dieser Erkenntnis hast du die Möglichkeit, deine Neuausrichtung nach ganz neuen Maßstäben zu treffen. Finde, was dir zukünftig die größte Erfüllung bringt.

 

Mein Beispiel

 

Bei mir war es z.B. so, dass meine Eltern keine Akademiker sind. Für sie war daher ein Studium auch erst einmal nichts, zu dem sie mir geraten hätten. Ich glaube fast sogar, sie hätten es gerne gesehen, wenn ich eine Ausbildung gemacht hätte. Das kannten sie, das war ihnen vertraut.

 

Mich interessierte aber damals schon der Mensch, die verschiedenen Persönlichkeitstypen und, und, und. Ich überlegte, daher Psychologie zu studieren. Psychologie war aber nun wirklich nichts, womit meine Eltern etwas anfangen konnten. Das war etwas, was zu ihrer Zeit nicht in Anspruch genommen wurde, man half sich selbst. Obwohl ich denke, dass es wahrscheinlich aufgrund der damaligen vielen Kriegstraumata viel Bedarf für diese Generation gegeben hätte. Da es aber auch zur Zeit meiner Berufswahl nicht so sehr der Normalität entsprach Hilfe bei einem Psychologen zu suchen, wurde mir von einem solchen Studium zwar nicht abgeraten, aber man äußerte doch Zweifel und Bedenken, ob das das Richtige sei und ob man damit überhaupt seinen Lebensunterhalt verdienen könnte.

 

Da man als junger Mensch durch Bedenken der Eltern oder auch durch Ratschläge aus dem Bekanntenkreis viel stärker beeinflusst wird als in einem späteren Stadium, habe ich mich gegen die Psychologie und für Jura entschieden. Ich bin gut durchs Studium gekommen und fand es auch nicht uninteressant. Doch psychologische Themen haben mich auch später nie losgelassen, das tiefe Interesse war geblieben und so kommt es nicht von ungefähr, dass ich irgendwann meinem Leben noch einmal eine ganz neue Wende gegeben habe und eine Business-Coachingausbildung bei Christopher Rauen begonnen habe. Eine Wende, die zu dem geführt hat, was ich heute beruflich mache. Soweit also zum Einfluss meiner Herkunftsfamilie auf meine Berufsentscheidung.

 

Aber wie war das bei dir? Konntest du ganz frei entscheiden, unbehelligt von jeglichem Einfluss? Ich halte es für wichtig herauszufinden, was dein wahrer Kern ist, was dich inspiriert und motiviert. Im Marketing spricht man ja auch gerne von: Was ist dein Warum?

 

Was dein Stammbaum mit deiner Berufswahl zu tun hat

 

Einen ersten Ansatz bietet das Modell des Genogramms.

 

Aber was genau ist ein Genogramm? Das Genogramm stammt ursprünglich aus der systemischen Familientherapie. Es lässt sich in abgewandelter Form auch hervorragend im Karrierecoaching verwenden. Dazu erstellst du eine stammbaumähnliche Grafik, in der dein Familiensystem mit den dazugehörigen Berufen eingezeichnet wird

 

Nimm dir dafür zunächst einen Zettel und setze ganz oben deinen Namen ein. Falls du Geschwister hast, setze deren Namen auf einer Ebene unterhalb des deinigen und fügen deren Berufe hinzu. Unter den Geschwistern kommen die Namen deiner Eltern und deren Berufe. Wiederum darunter auf einer Ebene deren Geschwister, also deine Tanten und Onkel, mit Beruf und darunter deine jeweiligen Großeltern, also deine jeweiligen Großväter und Großmütter sowie deren berufliche Tätigkeiten. Um das ganze grafisch etwas ansprechender zu gestalten, kannst du die Namen umranden und vielleicht auch noch mit Strichen die jeweiligen Verbindungen verdeutlichen. Letztlich sieht das Ganze zum Schluss wie ein Familienstammbaum aus.

 

Erkennst du einen roten Faden in deiner Familie?

 

Im ersten Schritt schaust du, ob es Berufsbilder gibt, die sich in deinem Stammbaum wiederholen? Erkennst du Muster? Gerade in Anwaltsfamilien oder bei Ärzten findet man häufig Wiederholungen. Vielleicht ist aber auch erkennbar, dass innerhalb deiner Familie nicht unbedingt ein bestimmter Beruf, wohl aber gerne administrative Tätigkeiten ausgeübt wurden.

 

Vielleicht gab es immer wieder Handwerker in deiner Familie und auch für dich kam damals nach der Schule nichts anderes in Betracht? Dann frage dich, warum? Es ist möglich, dass dir Handwerksberufe besonders vertraut waren. Man hat dich früh handwerklich gefördert, so dass du schon als Jugendlicher vieles reparieren oder Dinge herstellen konntest, von denen deine Freunde nur geträumt haben. Vielleicht hast du schon lange Zündkerzen am Auto deiner Eltern ausgewechselt, bevor du überhaupt selbst den Führerschein hattest. Oder du hast bereits als Kind Vogelhäuschen gebastelt und an deine Nachbarn verkauft. Vielleicht wärest du aber auch ein toller Musiker geworden, wenn du in deiner Familie einfach nur den Zugang zu diesem Thema gefunden hättest. Oder ein toller Chirurg, weil du besonders geschickt mit deinen Händen bist. Aber über ein Studium hat in deiner Familie überhaupt niemand gesprochen und da hast du es dir auch selbst nicht zugetraut.

 

Oder es ist genau umgekehrt. In deiner Familie war es selbstverständlich, dass aus dir ein Akademiker wird. Schließlich war schon dein Opa Arzt und auch dein älterer Bruder hat Jura studiert. Hätte nur jemand erkannt, dass du viel lieber mit den Händen als mit deinem Kopf arbeitest oder dass du viel lieber draußen in der Natur bist als den ganzen Tag im Büro zu verbringen.

 

Um es also noch einmal zusammenzufassen:

 

Erster Schritt: Muster erkennen

 

Im ersten Schritt versuchst du bitte ein Muster in dem von dir erstellten Familienstammbaum zu finden. Erkennst du gar keine Wiederholungen oder die Gemeinsamkeit einer beruflichen Gruppe, kann es trotzdem interessant sein, sich einmal mit diesem Stammbaum zu beschäftigen. Denn allein eine solche Übersicht führt bei dem ein oder anderen zu einem Aha-Erlebnis, Erinnerungen werden wach, warum man damals diese Wahl getroffen hat und manchmal kommen bei meinen Klienten über die Arbeit mit dem Genogramm auch Gespräche mit anderen Familienmitgliedern zustande, weil man gar nicht mehr weiß, was die Oma eigentlich damals gelernt hat.

 

Zweiter Schritt: Was hat das eigentlich mit mir zu tun?

 

Solltest du aber Ähnlichkeiten zwischen deiner Tätigkeit und anderen Familienmitgliedern erkennen, frage dich im zweiten Schritt zunächst, ob dir dies bei deiner Berufswahl schon derart bewusst war. Hast du also BWL studiert, weil dies schon dein Vater und dein Opa getan haben? Bist du Tierarzt geworden, weil deine Schwester dir vorgeschwärmt hat, was für ein wundervoller und sinnbehafteter Beruf das ist und sie war immer dein großes Vorbild?

 

Dann solltest du dich fragen, ob die damaligen Gründe für deine Berufswahl auch heute noch für dich relevant sind. Oder ist es vielleicht so, dass es dir damals imponiert hat, dass dein Vater mit seiner Tätigkeit als Führungskraft so viel Einfluss auf andere Menschen hatte, du jedoch genau das heute als Belastung empfindest? Dass du die ständige Verantwortung für alles und jeden am liebsten sofort hinter dir lassen würdest? Und beurteilst du heute deine Tätigkeit als Tierarzt immer noch als sinnbehaftet, empfindest es aber als tiefe Ungerechtigkeit, dass du trotz des lernintensiven, anstrengenden Studiums mit deiner fordernden Tätigkeit viel weniger Geld verdienst als ein Humanmediziner und die Freude an dem Sinn ist darüber verloren gegangen? Sind deine damaligen, von deiner Familie geprägten Werte, gar nicht mehr deine?

 

Vielleicht war dir bei deiner damaligen Berufswahl der Einfluss deiner Familie auf deine Entscheidung nicht bewusst, weil sie nicht direkt Einfluss auf deine Entscheidung genommen hat. Es war einfach eine Selbstverständlichkeit und lag so nahe z.B. Schreiner zu werden, wo du doch schon immer so geschickt warst und deinem Onkel so gern in seiner Schreinerei geholfen hast. Deine soziale Ader traf zur damaligen Zeit auf keinen Resonanzboden und blieb daher unentdeckt. Erst während deiner Tätigkeit hast du gemerkt, dass es dir großen Spaß macht, die Auszubildenden in deinem Betrieb zu fördern, sie anzuleiten und ihnen Neues zu zeigen. Vielleicht kann dir dann eine Weiterbildung zum Ausbilder schon einen neuen Motivationsschub geben. Manchmal genügt es in diesen Fällen einfach die Stellschraube nur ein wenig neu zu justieren.

 

 

Dritter Schritt: Welche Bedürfnisse habe ich heute

 

Vielleicht war der Einfluss in deinem Elternhaus auf deine Entscheidung aber auch sehr konkret. Man hat dir – direkt oder indirekt - deutlich gemacht, dass für dich nur ein Studium in Betracht kommt, weil das alle in deiner Familie Akademiker sind und du dein Abitur mit einer ordentlichen Note abgeschlossen hast. Auch für dich war daher ein Studium selbstverständlich. Du hast dich mühsam und gelangweilt durchs Studium gequält und dich schließlich bei einer deutschen Großbank in der Controllingabteilung wiedergefunden.

 

Nun schleppst du dich von Tag zu Tag jeden Morgen zur Arbeit und sehnst das Wochenende herbei, an dem du wieder deiner wahren Leidenschaft nachgehen kannst, dem Tortenbacken. Du bist dafür bekannt, dass deine Torten nicht nur wunderbar schmecken, sondern sie sehen auch noch phänomenal aus. Immer wieder wirst du gebeten, eine deiner herrlichen Kreationen für eine Hochzeit oder einen besonderen Geburtstag anzufertigen. Inzwischen empfiehlt man dich schon weiter und so verdienst du schon den ein oder anderen Euro mit deiner Liebhaberei. Die Komplimente für das Aussehen und den Geschmack deiner Kreationen beflügeln dich und eine große Leichtigkeit breitet sich am Wochenende aus.

 

Aber damit hauptberuflich dein Geld verdienen? Keine leichte Entscheidung. Das sehr gute Gehalt in der Bank ist einfach zu reizvoll. Aber manchmal träumst du von deinem eigenen kleinen Café. Dies ist sicherlich der Zeitpunkt, an dem Du dich näher mit beruflicher Veränderung vertraut machen solltest. Natürlich will ein solch gravierender Schritt sehr gut überlegt sein. Es gibt manche Hürde zu überwinden und verschiedene Schritte sind zu planen. Aber nur, weil du einmal einen beruflichen Weg vor Jahren eingeschlagen hast, heißt das nicht, dass berufliche Veränderung unmöglich ist. Auch in der Lebensmitte eröffnen sich neue Möglichkeiten. Aber vielleicht gewöhnst du dich erst einmal an diesen Gedanken.

 

Die Arbeit mit dem Genogramm ist nur ein erstes Puzzleteil bei der beruflichen Neuorientierung. Es geht darum, bei beruflicher Unzufriedenheit die Grundlagen deiner damaligen Berufsentscheidung Revue passieren zu lassen, zu erkennen, wieviel dein Familiensystem darauf Einfluss genommen hat und zu entdecken, ob die damaligen Gründe für deine Berufswahl für dich heute immer noch gelten. Welche Einstellungen und Werte haben sich verändert, welche unerkannten Fähigkeiten haben sich erst später gezeigt?

 

Frage dich, wie du diese Veränderungen in deinem neuen Berufsleben so einsetzen kannst, dass du endlich das Leben führen kannst, wie du es dir schon lange wünschst.

 

Mit dem Genogramm kann man noch weitaus mehr Erkenntnisse gewinnen. So nutze ich es mit meinen Klienten z.B. auch noch zum Aufdecken von Glaubenssätzen oder zur Ressourcenerkennung. Das würde an dieser Stelle jedoch zu weit führen. Beginne einfach, wie hier beschrieben, mit dem ersten Schritt und versuche so viele Erkenntnisse wie möglich aus deinem Genogramm, deinem Familiensystem, mitzunehmen. Ich bin gespannt, was du für dich entdeckst.